Leute, die mir doch eine Zeit lang vertrauenserweckend erschienen, beschweren sich über den Preis eines rosanen Buches ("und es ist ja nicht mal gebunden!"), das es bei Matthes&Seitz zu kaufen gibt. 14 Euro noch was ("und es ist ja nicht einmal dick!"). Verleger, Drucker, Autoren, Setzer und die ganze Mischpoke müssen doch einfach ohne jede Scham sein, um für sowas sowas zu verlangen... Sagen mir die Leute. Dabei stellt Wolfgang
Hegewald in seinem neuen Buch Die eigene Geschichte spielerisch
den schmalen Korridor der Normalität in Frage - und dafür kann man schon mal das Geld für zwei günstige Pizzen hinlegen :
Ein Traum, der Hinweis auf das um ein Jahr verfrühte Datum
der Millenniumsfeierlichkeiten, ein Bericht über die Weltverhinderungsmaßnahmen der Gummischutzzone
DDR. – Hegewalds neuestes Buch ist ein
Sammelsurium kurzer, gehaltvoller Textstücke. Ohne weiteren ersichtlichen Zusammenhang
als den Untertitel – Aufzeichnungen aus dem Jahr 2000
– steht die lang ersehnte Erklärung der
Redewendung auf den Hund kommen neben dem Bericht, ein Amerikaner habe einen für schwul
gehaltenen Pudel tot geprügelt. Hegewald kommentiert politische Extreme, die Religion
und den sich oft so arg ernst nehmenden Kulturbetrieb, gibt wissenschaftliche
Erkenntnisse zum Besten und alltägliche Straßenszenen, sammelt kleine
Denkwürdigkeiten, kritisiert Beschränktes.
Erster Orientierungslosigkeit folgt Euphorie ob der hinreißenden
Sprache, in der der Autor unerwartete Weisheiten wie Nebensächlichkeiten
äußert. Dem von ihm beschriebenen Lyriker Kannenwischer (ein Zerknirchungsvirtuose von Rang) nicht unähnlich, besticht auch er mit Herzlichkeit, immerfort neckisch Nein! nickend.
Mal stellt sich angesichts eines
Abschnitts Erkenntnis ein, mal Freude über eine bemerkenswerte Idee, über das
Aufschnappen wissenschaftlicher Fakten, die meist den eigenen Intuitionen
widersprechen („Blindsichtige“ nehmen wahr, ohne sich dessen bewusst zu sein,
und deshalb „sehen“ sie nichts). Auch weniger Erstaunlichem vermag der Autor
durch seine gewitzte Sprache etwas hinzuzufügen oder durch kleine
Verschiebungen, seine ungesehene, oft widersprüchliche Seite zu entlocken.
Scheinbar völlig klare Begriffe öffnen sich unter Hegewalds fragendem Blick. Charakterfoto? Lässt
sich Musik aufhören? Und welche furchtbare DDRStaatspraxis verbirgt sich hinter
verblitzen?
Doch wenn diese wunderbaren Dinge auch überwiegen, mehren
sich mit den Seiten ebenfalls ernüchternde Aufzeichnungen von Erlebnissen, die
einen nun gar nicht überraschen (Deutsche Zuggäste beschweren sich über Bahn
und BRD? ach.). Und dass er sich unter den DDR-Begriffen gerade um das
Verblitzen bemüht und nicht etwa um die doch viel gemütlichere und begrifflich entzückende
Brauselimonade „Leninschweiß“, enthüllt eine Schwachstelle. Von
Publikationsverbot getroffen und aus der DDR emigriert, ist ihm wohl nicht nach
Beleuchtung etwaiger realexistierender DDR-Gemütlichkeiten. Hegewald kritisiert
die DDR mit scheinbar nicht zu brechendem Enthusiasmus – ebenso wie ihr Bild im
gesamtdeutschen linksliberalen Feuilleton. Bei all seiner wachen Kritik am Status
Quo des Denkens schießt sich der Kämpfer für die Differenz und die verspielten Möglichkeiten
hier ein Eigentor. Seine Position wirkt starr. Jenseits
ostalgischer Verklärung ist Kritik am Hergang der Wiedervereinigung angebracht –
wie auch die Festellung, dass die Ekstase der ersten „Hallelujah-DMark“- Rufe
ziemlich nachgelassen hat – und macht einen nicht, wie der Autor nahelegt, zum landsmannschaftlichen
Revanchisten. Dabei pflegt Hegewald doch ansonsten eine so bemerkenswerte Taktik
der Enttäuschung. Denn genau wie alles
Wissen private Metaphorik ist, so ist auch Wahrnehmung
immer schon Interpretation und muss hinterfragt werden.
So begeistert man von diesem kleinen Bändchen ist, man
gewöhnt sich ein bisschen an seine Art des Ungewohnten. Nicht alles bleibt
hängen, nicht alles hat philosophisches Potential, manches eignet sich einfach
dazu, bei der nächsten Party ausgeplaudert zu werden (was ja auch sehr schön
ist), aber die Beobachtungen Hegewalds erinnern dennoch an eine
Aphorismensammlung, die man immer wieder – auch nur stückchenweise! – und
vielleicht auch am Liebsten von hinten lesen kann. Vieles möchte man sofort
notieren, weil es so gut gesagt, so aufmerksam gesehen ist. Und das Tolle
dabei: Es ist
bereits notiert und man kann einfach
wieder aufblättern.