Debra Granik hat mit dem preisgekrönten
Independentfilm Winter’s Bone eine
düstere poetische Hymne auf eine weltvergessene und von der Welt vergessene
Region im Mittleren Westen der USA gedreht :
Der
Film Winter’s Bone ist eine Erzählung
aus der kargen, gottverlassenen und doch märchenhaften Hügellandschaft der
Ozarks – einem Hochlandplateau, das den südlichen Teil Missouris im Mittleren
Westen der USA einnimmt. Bewohner haben sich hier eine eigene Ordnung aus
patriarchaler Gewalt, Clan-Rangfolge, Korruption und Drogen geschaffen, der
sich auch die Staatsmacht nicht entzieht. Ein junges Mädchen stellt sich dieser
Welt erbittert und wild entschlossen entgegen, um ihre Familie zu retten. Winter’s Bone – schaurig schön und
brutal – zeigt somit ein Pendant zur Großstadthölle: die düstere kriminelle
Seite der amerikanischen Einöde.
„Ich
bin eine Dolly“, raunzt Ree den Sheriff an, als sei das selbstverständlich eine
Erklärung für alles und Auszeichnung zugleich, blickt ihm dabei mit ihren
starken blauen Augen direkt ins Gesicht. Die 17jährige Ree Dolly (wunderbar
gespielt von der für einen Oscar nominierten Jennifer Lawrence) ist stolz auf
ihre Herkunft, auch wenn sich die weiten Familienbande im Laufe des Films als
durchaus belastete Verhältnisse erweisen. Als sie sich auf die Suche nach ihrem
verschwundenen Vater Jessup begibt, spannen die Mitglieder ihres Clans –
ausgestattet mit Ganovennamen wie Little Arthur oder Teardrop (John Hawkes,
auch großartig und ebenfalls oscarnominiert) – ein Netz aus Drohungen,
Brutalität und Schweigen. Ree ergibt sich nicht, sondern sucht weiter. Jessup
hat Haus und Land der Familie als Kaution gesetzt, um einem erneuten
Gefängnisaufenthalt wegen der Herstellung von Drogen zu entgehen. Findet sie
ihn nicht, enden sie, ihre zwei jüngeren Geschwister Sonny und Ashlee und ihre
Mutter, die – wie passend – nicht mehr spricht und sich offenbar vor der Härte
des Lebens mit ihrem Mann in die Verrücktheit zurückgezogen hat, obdachlos im
Wald.
Eine
weitere Hauptrolle neben Jennifer Lawrence spielt in Winter’s Bone die Musik. Die Musik der Ozarks läuft im Radio der
Dollys oder wird zur Familienfeier live gespielt. Sie rahmt den Film und betont
so dessen poetische Tiefe. In der Anfangsszene singt Marideth Sisco (die auch
in einer Szene zu sehen ist) mit rauher und sanfter Stimme zum Zirpen der
Grillen Missouri Waltz, die Hymne von
Missouri – ein Wiegenlied! –, während die beiden Kinder Sonny und Ashlee dazu
in Slowmotion Trampolin springen. Way down
in Missouri where I heard this melody; when I was just a little baby on my Mommy's knee; The old folks
were hummin'; their banjos were strummin'; So sweet and low. Und auch der
Schluss spielt vor dem Haus der Dollys. Ree sitzt mit einem Kind auf jeder
Seite auf den Verandastufen und Ashlee schrummt auf dem übriggebliebenen Banjo
des Vaters ein paar unausgesuchte zarte Töne.
In
diesen Klang-Rahmen fügt sich die düstere Erzählung wie ein böser Traum – voll
brutaler Machenschaften und bösartiger Blicke (die Augen und Blicke der
Darsteller sind allein schon den Kinobesuch wert!) –, wie eine der
traditionellen Geschichten, die man sich in den Ozarks seit jeher erzählt.
Lassen einen die Bilder der einsamen Landschaften und ärmlichen
heruntergekommenen Häuser zuerst in melancholische Stimmung verfallen, wendet
eine der großen Szenen den Film unerwartet hin zum Thriller und schlägt somit
ein anderes Tempo an. Rees Leben ist plötzlich bedroht. In dieser Welt, die die
Einwohner der Gegend in einem sehenswerten Interview mit der Filmemacherin als
eine Art Drittweltland bezeichnen – isoliert, geprägt von Armut und vom steten
Kampf mit den harten Lebensbedingungen – ist Ree der lebendige Widerstand. Die
Heldin, die die begrenzten Möglichkeiten zwischen Babys und Reserveoffizier-Ausbildungskorps,
zwischen Waldwirtschaft, Rinderzucht und Drogensumpf auslotet.
Vielleicht
liegt es am Autor Daniel Woodrell, der die Drehbuchvorlage lieferte und die
Regisseurin Debra Granik bei der Auswahl ihrer Drehorte beriet, vielleicht
daran, dass etliche Darsteller, unter denen auch Amateure sind, tatsächlich in
Südmissouri leben, möglicherweise ist es die traditionelle Musik, die den Film
stets begleitet, die wunderschönen Aufnahmen – dieser Thriller ist, trotz oder
vielmehr mit seiner stets impliziten Gesellschaftskritik, auf ganz besondere
Weise ein Heimatfilm geworden, das poetische Portrait einer Region.